Ein Tagungsrückblick von Claire Holder und Magdalena Regele.

Im September dieses Jahres und damit genau 100 Jahre nach der Gründung der ersten Waldorfschule auf der Uhlandshöhe in Stutt­gart trafen sich über 500 Waldorfpädagoginnen und -pädagogen aus aller Welt an eben diesem Ort für den Kongress ›Am Anfang steht der Mensch‹, den die Freie Waldofschule Uhlandshöhe zusammen mit der Freien Hochschule Stuttgart durchführte. Dieser ermöglichte eine Begegnung vieler Menschen, die weltweit in der Waldorfschulbewegung tätig sind, und bot Gelegenheit, die bisher bestehenden Strukturen zu diskutieren und an ihrer Er­weiterung zu arbeiten. Ebenfalls muss aber festgestellt wer­den, dass die soziale Gestaltung der Wal­dorfschu­len im Sinne einer gut arbeitenden Selbstverwaltung sowie die inneren Motive der Anthroposophie oft nicht adäquat umgesetzt und angewandt werden. Es wird eine der zentralen Aufgaben für die Zukunft sein, sich um die Umsetzung dieser Ziele zu bemühen und die geeigneten Fähigkeiten dafür auszubilden.

Eine drängende Aufgabe der Erziehung ist es, das Leibliche, das Geistige und das Seelische im Menschen miteinander zu verbinden und in Einklang zu bringen, um eine gesunde, stabile und aufrechte Mitte zu erzeugen, von der aus der Mensch zum Mitgestalter der Welt werden kann.

Im Mittelpunkt des Kongresses stand die intensive Auseinandersetzung mit der Grund­­lage der Waldorfpädagogik, der ›Allge­mei­nen Menschenkunde‹ Rudolf Steiners. Sie wurde in unter­schiedlichen Workshops von praktischer wie theoretischer Seite beleuchtet und auf den Prüfstein gelegt. Was benötigt z.B. eine Pädagogik im Sinne der ›Menschenkunde‹, um zukunftsfähig zu sein? Und wie muss eine Pädagogik in den verschiedenen Kulturen der Welt aussehen, die trotzdem auf einem gemeinsamen Verständnis der Menschenkunde fußt? Gleichzeitig wurden aber immer wieder auch die historische Situation im Jahre 1919 sowie Steiners Bestrebungen im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus thematisiert, wovon die Waldorfschule ein kleines Modell darstellt. Zu dieser und zu ande­ren Fragestellungen fanden zahlreiche Arbeitsgruppen, Vor­träge, Foren und künst­lerische Abendver­anstaltungen statt.

Tendenzen, das bisher Erreichte selbstlobend zu betrachten, wurden sofort aufgehoben, in­­dem das Augenmerk auf die drängenden Not­wendigkeiten unserer Zeit gelegt wurde. Angesichts der sozialen Nöte oder der fort­schreitenden Digitalisierung ist eine auf der Kenntnis des Men­schenwesens basierende Erziehung heute genauso wichtig wie 1919. Es wurde deutlich, dass sich die Situation der Kindheit im Vergleich zu der von vor 100 Jahren stark verändert hat, dass der Anspruch an die Erziehung heute aber immer noch und sogar verstärkt derselbe ist. Eine drängende Aufgabe der Erziehung ist es, das Leibliche, das Geistige und das Seelische im Menschen miteinander zu verbinden und in Einklang zu bringen, um eine gesunde, stabile und aufrechte Mitte zu erzeugen, von der aus der Mensch zum Mitgestalter der Welt werden kann.

Steiners ›Allgemeine Menschenkunde‹ zu ver­­stehen und zu durchdringen ist die Arbeitsgrundlage einer fruchtbaren Waldorf­pä­da­gogik. Angesichts des Ideenreichtums und Tatendrangs, der auf dem Kongress sichtbar wurde, kann die­ser rückblickend als Auftakt für einen sich erneuernden Impuls der Waldorfpädagogik gesehen werden.

Claire Holder & Magdalena Regele

Studieren Waldorfpädagogik im letzten Jahr des Masterstudiums an der Freien Hochschule Stuttgart.