Anlässlich des Themenschwerpunkts „Bildung“ bei der bildungsART 19 im Februar 2019 veröffentlichen wir regelmäßig kurze Interviews mit unterschiedlichen Menschen zu drei Fragen. In diesem Beitrag haben wir Tomas Zdazil befragt, Historiker, Erziehungswissenschaftler und Dozent an der Freien Hochschule Stuttgart.
Zur Person: Tomáš Zdražil, Studium der Geschichte und Pädagogik in Prag, Stuttgart und Bielefeld, Promotion zum Thema der schulischen Gesundheitsförderung. Zehn Jahre Klassenlehrer und Oberstufenlehrer in Tschechien. Zur Zeit: Mitarbeit an der Freien Hochschule Stuttgart, Unterricht im Bereich der anthroposophisch-anthropologischen Grundlagen der Waldorfpädagogik.
1. Was ist/bedeutet Bildung für Sie?
Die Bildung ist für mich nicht ein zu erreichender Zustand („ich bin gebildet“), sondern – ganz großgefasst – ein nie vollendeter menschlicher Weg des Lernens, der einerseits das Verstehen der Welt in ihren Zusammenhängen einbezieht, andererseits aber auch die Verwandlung oder Weiterentwicklung der Welt und des Menschen selbst mit einschließt. Die Bildung ist für mich die Quelle für diesen dynamischen verwandelnden Prozess. Vieles gehört dazu, ich erwähne nur zweierlei: dieser Prozess ist einerseits ein sehr innerlicher und individueller, andererseits ereignet er sich in einem Freiheitsraum zwischen Mensch und Mensch oder zwischen Mensch und Welt.
2. Was hat Sie persönlich in besonderem Maße gebildet?
Meine Eltern natürlich in erster Linie. Recht wenig die kommunistisch geprägte Schule in der sozialistischen Tschechoslowakei, wo ich aufgewachsen bin. Ein außerordentlich starker Bildungsimpuls war für mich die Begegnung mit dem Werk Rudolf Steiners, etwa mit 15 Jahren. Neue Welten sind mir dadurch aufgegangen, eine ganz neue tiefere, lebendigere, intensivere Verbindung mit der Welt wurde für mich dadurch möglich. Viel verdanke ich in dieser Hinsicht jemand, der mich damals in die Anthroposophie eingeführt hat. Überhaupt gibt es einige wenige Menschen, denen ich mich hinsichtlich meiner Bildung dankbar verbunden fühle und die ich als meine Lehrer verstehe. Einer war z. B. Stefan Leber hier aus Stuttgart.
3. Was wünschen Sie sich für die Weiterentwicklung des Bildungssystems?
Es wäre zu hoffen (obwohl das im Moment nicht danach aussieht) dass das System von staatlichen Genehmigungen, Akkreditierungen usw. in den Bildungseinrichtungen abnehmen wird. Das Bildungswesen braucht eine Autonomie, eine Befreiung von ökonomistischen und politischen Fremdbestimmungen, die die eigentliche Bildung untergraben. Zu wünschen wäre eine Bildungslandschaft, die weniger ein System ist, sondern viel mehr eine vielgestaltige dynamische Vielfalt von Bildungseinrichtungen, in denen sehr unterschiedliche Bildungswege mit den Mitteln der Kunst, der Wissenschaft und der Religion angeboten werden. Ich bin überzeugt, dass in erster Linie nicht die Digitalisierung und die Roboter unsere Bildung qualitativ weiterentwickeln, sondern kreative Menschen, die sich ihrer geistigen Entwicklung bewusst sind und sie eigenaktiv und energisch vorantreiben. In diesem Sinne sehe ich in der Anthroposophie ein wirksames unverzichtbares Bildungsinstrument.
Das Interview führte Ingolf Lindel,
(Studierender am Eurythmeum, Mitglied im campusA-Koordinationsteam)