Geld und Gemeinwohlökonomie

Vortrag von Christian Felber am Do, 09.03.2017
Ein Bericht von Lena Sutor-Wernich

Steueroasen – Lebensmittelspekulation – Hochfrequenzhandel – Geierfonds – 20 Milliarden Euro zur Bankenrettung in Italien im Jahre 2017 – …

Dieser Ticker, bei dem jedes Schlagwort an sich Kopfschütteln bis Verzweiflung hervorrufen könnte, könnte beliebig fortgesetzt werden. Tatsache ist aber: alle diese Tatsachen wurden durch Parlamente und Regierungen ermöglicht! Sind sie eines Souveräns würdig?

Mit dieser Frage eröffnete Christian Felber seinen Vortrag zum Thema „Geld und Gemeinwohl – mit souveräner Demokratie zu einem ethischen Geldsystem“, der im Rahmen der bildungsART 17 am 9.März 2017 in einer Kooperation mit dem Hospitalhof Stuttgart in dessen Räumlichkeiten stattfand.

Christian Felber ist der Begründer der so genannten „Gemeinwohlökonomie“, einer Initiative, die 2010 von wenigen Unternehmern gestartet wurde und heute, 7 Jahre später, in voller Blüte steht: Es gibt gemeinwohlökonomische Aktivitäten in 50 Staaten der Erde, kürzlich wurde der erste universitäre Lehrstuhl zur Gemeinwohlökonomie inauguriert, die Gemeinwohlökonomie wird im Regierungsprogramm Baden-Württembergs erwähnt, immer mehr Unternehmen und öffentliche Einrichtungen, auch in der schwäbischen Region, sehen Gemeinwohlökonomie als eine Maxime ihrer unternehmerischen Praxis.

Die Gemeinwohlökonomie als „Aufbruch zu einer ethischen Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital, sondern das gute Leben für alle ist“, wie es die Regionalgruppe Stuttgart in ihrem Info-Flyer postuliert, scheint also eine Idee zu sein, deren Zeit gekommen ist – und gleichzeitig gibt es noch viel zu tun.

Christian Felber ging zu Beginn seines Vortrags an die Wurzeln des heutigen wirtschaftlichen Systems.

Eigentlich sei die Ökonomie aus der Philosophie hervorgegangen – selbst Adam Smith, der vielen als Urvater des heutigen Neoliberalismus gilt, war Moralphilosoph. Doch was hat heutige Wirtschaftswissenschaft noch mit ihrer philosophischen Mutter, mit der „Liebe zur Weisheit“, zu tun? Christian Felber zeigt auf, wie spezielle Machtkonstellationen, Theorien und Ideologien zu den heutigen in vieler Hinsicht prekären Verhältnissen geführt haben.
Wie kann es sein, dass selbst der kleine Gemüsemarkt in Salzburg, der Geburtsstadt Felbers, eine Marktaufsicht hat, die Weltwirtschaft aber meint, ohne Aufsicht auskommen zu können?

Hier kommen wir wieder an die Ausgangsfrage, ob all diese Verhältnisse eines Souveräns würdig sind – und wer in unserer heutigen Demokratie denn faktisch der Souverän ist. Wortwörtlich genommen, wäre dies das Volk (superanos =über allem stehend). Faktisch jedoch verfügt heute das Volk als Ganzes über keinerlei Grundrechte eines Souveräns. Felber führt aus, dass sich die westlichen Demokratien in den letzten Jahrzehnten so sehr auf die individuellen Grund- und Menschenrechte konzentriert haben, dass die kollektiven Rechte nicht berücksichtigt wurden. Hier ist also ein Schritt vom Ich zum Wir notwendig, um unsere Demokratie grundlegend zu reformieren und ihres Namens und den Menschen wieder würdig zu machen.

Was ist nun der konkrete Ansatzpunkt der Gemeinwohlökonomie zu einer solchen Reform?

Zunächst muss geklärt werden, dass zukünftige verfassungsähnliche Texte vom Volke aus gestaltet und beschlossen werden.

Als nächste Schritte auf diesem Fundament schlägt Christian Felber Bürgerbeteiligungsprozesse vor, was er am konkreten Beispiel der kommunalen Geldkonvente verdeutlicht.

Im kommunalen Rahmen sollen sich alle interessierten und engagierten Bürger/innen treffen, um fundamentale Fragen zum Thema Geld aufzuarbeiten. Im Verfahren des systemischen Konsenses sollen sie zu einer gemeinsamen Position kommen, die dann durch eine Delegation bzw einen Abgeordneten auf Bundesebene vertreten wird. Der Bundes-Geldkonvent sichtet die verschiedenen Positionen und macht sie zugänglich, so dass am Ende der Souverän, das Volk, über diese Vorschläge abstimmen kann.

Dabei ist es wichtig, dass beim Geldkonvent, egal auf welcher Ebene, keine fixen Vorschläge und Regeln vorgegeben, sondern diese von den Teilnehmenden gemeinsam entwickelt werden. Auch gibt es niemals nur einen Vorschlag, sondern mindestens zwei.

Nachdem alle erstzunehmenden Vorschläge diskutiert und formuliert wurden, kommt es zur Abstimmung in folgender Form: Durch Aufzeigen einer oder beider Hände mache ich meinen inneren Widerstand in Bezug auf den abzustimmenden Vorschlag deutlich. Die Hände werden gezählt und der Vorschlag mit dem geringsten Widerstand gewinnt.

Christian Felber lud uns an diesem Abend gleich zu Probeabstimmungen nach diesem Verfahren ein. Die zur Abstimmung stehenden Fragen waren beispielsweise: Sollen Banken, die am freien Kapitalmarkt spekulieren, im Verlustfalle vom Steuerzahler gerettet werden? Sollen Gemeinwohl orientierte Banken getragen werden? Sollen Banken eine Bilanzsumme von über 30 Milliarden € haben dürfen?

Die Probeabstimmungen im Saal hatten einen sehr klaren Aussagewert und man konnte ahnen, dass eher sehr vernünftige und gesunde Richtlinien dabei entstehen würden.

Man mag die ausgewählten Fragen als zu suggestiv bewerten und das anwesende Publikum als zu einseitig alternativ orientiert einordnen können. Nichts desto trotz wurde an diesem Abend ein konkreter und handhabbarer Ansatzpunkt deutlich, mit Veränderungs- und Gestaltungsprozessen JETZT zu beginnen – von der kleinsten Einheit der Familie oder des Freundeskreises über das eigene Unternehmen, den Stadtteil, die Region bis hin zur Bundesebene – ohne auf die offiziellen Amtsträger warten oder schimpfen zu müssen und sie dann bei der nächsten Wahl abzustrafen.

Wann beginnen wir in Stuttgart, wann beginnen wir auf dem Campus, wann beginnen Sie in Ihrem Umfeld damit?