Vortragsbericht bA18 von Sonja, Jugendseminaristin.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Rechten und Würde geboren.“
Mit diesen Worten beginnt der erste Artikel („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“) aus der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, die am 10. Dezember 1948 von den Vereinten Nationen genehmigt und verkündet wurde. Auch in ihrem Vortrag über das Thema „Menschenrechte“ ging Constanza Kaliks auf die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ ein, indem sie die Vorrede, sowie den ersten und dritten Artikel, einleitend zitierte. Damit verdeutlichte sie die politische Bedeutung der Menschenrechte und wies auf ihren engen Zusammenhang mit dem Begriff „Menschenwürde“ hin, der die Frage nach dem Schutz der Menschlichkeit im Menschen wachruft. Wenn man sich weltweit umsieht, so muss man jedoch feststellen, dass sich diese „Menschlichkeit des Menschen“ immer noch in einem sehr fragilen Zustand befindet. Somit wird jeder Einzelne von uns dazu aufgerufen die Frage nach der eigenen inneren Menschlichkeit zu stellen, die einem dann bewusst wird, wenn sie einem von anderen Menschen gespiegelt wird.
Dabei erinnerte sich Constanza Kaliks an einen Dokumentarfilm, der in Brasilien gedreht wurde, und in dem ein Schuljunge dazu befragt wurde, warum er aufgehört hatte in seine Schule zu gehen.
Seine Antwort auf diese Frage lautete: „Man hat mich nie geträumt!“
Sie zeigt, wie bedeutsam das ernsthafte Bemühen ist, einen anderen Menschen wahrhaftig zu erkennen, um durch diese Kraft des Erkennens in ihm ein Potential wachzurufen, aus dem eine zukunftsweisende Entfaltung möglich ist. Diese Kraft des Erkennens wird von Rudolf Steiner als „offener Blick für die Wirklichkeit des anderen“ bezeichnet. Dadurch stellten sich im Verlaufe des Vortrags die folgenden Fragen:
Was bedeutet die Wirklichkeit für den anderen? Wie nimmt er diese wahr? Was ist meine Wirklichkeit? Können wir uns in einer sich überschneidenden Wirklichkeit erkennen?
Durch diese Fragen wird ein „Spannungsfeld“ aufgebaut, welches sich zwischen den Polen „Ich“ und „Umgebung“ bewegt. Constanza Kaliks machte deutlich, dass das „Ich“ einerseits unseren eigenen Mittelpunkt darstellt, während es andererseits seine Bedeutung erst dadurch erhält, wenn es sich mit seiner Umgebung verbindet. Jeder ist also sein eigener kleiner Mittelpunkt und doch ist er es nur innerhalb eines gewissen Bezugssystems, welches sich wiederum fortlaufend um andere Bezugssysteme bewegt. (Diese Erkenntnis ist vergleichbar mit der Entdeckung, dass die Erde nicht der Mittelpunkt unseres Sonnensystems ist und dass die Sonne nicht der Mittelpunkt unserer Galaxie ist, ja, nicht einmal unsere Galaxie ist der Mittelpunkt des Universums.
Gleichzeitig befindet sich der Mittelpunkt des Universums immer genau dort, wo man sich gerade befindet, denn egal an welchem Ort man sich aufhält, in jede erdenkliche Richtung kann man bis jetzt nur 46 Milliarden Lichtjahre weit blicken, dann stößt man auf den Partikelhorizont, der sich im gleichmäßigen Radius um den eigenen Mittelpunkt dreht. Dieser Partikelhorizont entsteht durch die Tatsache, dass wir uns nicht schneller als Licht bewegen können. Dass die Größe des, von uns aus betrachteten, Universums 46 Milliarden Lichtjahre und nicht 13 Milliarden Lichtjahre beträgt, liegt daran, dass sich der interstellare Raum auf Grund der „Dunklen Energie“ wie ein aufgehender Kuchenteig dehnt. Es ist schon paradox: Das Universum hat keinen Mittelpunkt und gleichzeitig bildet man diesen Mittelpunkt innerhalb der Kugel des eigenen Partikelhorizonts, welche sich mit anderen Kugeln überschneidet und durchdringt.)
In ihrem Vortrag zitierte Constanza Kaliks einen Satz Martin Bubers, der einen Entwicklungsraum veranschaulicht, den man dem anderen in der Begegnung schenken kann:
„Das eingeborene Du verwirklicht sich in jeder Begegnung, aber es vollendet sich in keiner Begegnung.“
Daraus wird ersichtlich, wie bedeutsam es ist seinen Gegenüber wirklich sehen zu wollen, da man den anderen dadurch in den eigenen Vorstellungsraum aufnimmt, in dem er sich entfalten kann. Wenn man den Mut hat den anderen zu träumen, so hilft man ihm dabei sein eigenes Entwicklungspotential zu entdecken. Das bedeutet also, dass man die Wirklichkeit des anderen in das eigene Handeln einbezieht; man verspricht, dass die Würde des anderen von dem eigenen Handeln anerkannt wird. Doch ist dies überhaupt möglich? Ist das eigene Handeln nicht zwangsläufig immer mit Schuld verknüpft?
Um dieser Frage nachzugehen, bezog sich Constanza Kaliks auf Hannah Arendt. Sie beschäftigte sich mit den „Folgen der Handlung“ und verdeutlichte die Schuldfrage anhand zweier Eigenschaften des Handelns: Der „Unvorhersehbarkeit“ des Handelns – bzw. des Nicht – Handelns und der „Unwiderruflichkeit“ des Handelns. Zum einen kann man nie genau vorhersagen, was die eigene Handlung auslösen wird, zum anderen kann man die eigene Handlung nicht zurückdrehen und damit auch ihre Folgen nicht rückgängig machen. Man hat also guten Grund dazu, sich einer konkreten Handlung zu entziehen und diese meiden zu wollen.
Warum also wagt es der Mensch dennoch zu handeln?
Weil es ein Heilmittel gegen die Unwiderruflichkeit des Handelns gibt: dies ist die Kraft des Verzeihens! Nur, da der Mensch verzeihen kann, wagt er es zu handeln.
Auch gegen die Unvorhersehbarkeit der Folgen einer Handlung gibt es ein Heilmittel: dies ist in der Fähigkeit zur Verbindlichkeit zu finden! Menschen geben sich Versprechen und können sich auch daran halten.
Diese zwei Heiligtümer des Handelns – die Kraft des Verzeihens und die Kraft des Versprechens – ermöglichen es uns den Mut dafür aufzubringen konkrete Handlungen auszuführen.
Durch ihren Vortrag machte Constanza Kaliks ihr Anliegen deutlich: Wenn man sich mit Würde begegnet, bedeutet dies, dass man den Mut dazu aufbringt den anderen zu träumen; es bedeutet, dass man einen Raum für das öffnet, was kommen kann!
„Jemand hat mich geträumt!“ In diesem Satz liegt die Kernaussage ihres Vortrags. Mit ihm achtet man die Menschenwürde seines Gegenübers, woraus die Anerkennung der Menschenrechte ersichtlich wird. Denn „wo beginnen die universellen Menschenrechte? An einem kleinen Ort, nahe dem eigenen Zuhause. So nah und so klein, dass diese Orte auf keiner Weltkarte zu finden sind (…)“(Eleanor Roosevelt, Vorsitzende der UN-Menschenrechtskommission, die die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ verfasste).
Sie beginnen im Mittelpunkt der Begegnung!
Constanza Kaliks baute ihren Vortrag aus klaren, durchdachten Sätzen auf, die ähnlich wie mathematische Gedankengänge aufeinander folgten. Durch ihre Worte schenkte sie mir den Einblick in eine Art geometrischen Raum, in dem es vor allem darum geht, einzelne umherschwirrende Punkte miteinander zu verbinden. Aus den dabei hervorgehenden Formen entsteht der Mut den anderen, sowie sich selbst, zu träumen!