– oder von der Pumpenvorstellung zum Wahrnehmungsorgan

Eine Reflexion von Marco Bindelli, campusA-Initiativkreis, Leiter des Jugendseminars Stuttgart.

400 junge Menschen lauschen fasziniert den Ausführungen von Armin Husemann. Soeben fordert er uns auf, uns in ein Kohlenstoffmolekül hineinzuversetzen, zu fühlen, wie es ihm wohl geht, wenn es aus den kapillaren Gefäßen in eine Ader eingezwängt wird. Es wird allmählich immer schneller und auf dem Weg zum Herzen von einem mächtigen Strom erfaßt, um dann für einen Moment abrupt zum Stillstand zu kommen, bis es mit dem nächsten rhythmischen Schlag auf den Weg zur Lunge geschickt wird. Dies schildert er uns, um den Unterschied zwischen rein wissenschaftlicher Betrachtung der äußeren Tatsachen und einer künstlerischen Betrachtungsart deutlich zu machen, bevor er sich mit schnellem Schritt dem bereitgestellten Flügel zuwendet. Wir hören die ersten Takte von Mozarts d – Moll Phantasie und tauchen in die musikalischen Gebärden ein. Wir betrachten die einzelnen musikalischen Schritte und verstehen, wie Mozart hier in urbildlicher Weise etwas in Töne gefasst hat, was dem Schlafen in einem reinen und ruhigen Lebensvorgang hin zu einem seelischen Erwachen im Herzen in der kurzen Pause zwischen Systole und Diastole entspricht. Anschaulicher kann man nicht aufzeigen, wie Kunst in diesem Falle die musikalische, die „Offenbarung geheimer Naturgesetze ist, die ohne sie wären verborgen geblieben“. (Goethe)

So etwa können Sie sich die zentrale Arbeit der diesjährigen bildungsART vorstellen, liebe Leser, die vom 1. – 6. März im Rudolf Steiner Haus Stuttgart stattfand. Neben den Studierenden der anthroposophischen Ausbildungsstätten in Stuttgart fanden sich hier auch einige Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft zusammen, um an der Frage der Herzensbildung zu arbeiten. Dies ist bewußt doppeldeutig zu verstehen. Einerseits tauchten wir tatsächlich in feiner phänomänologischer Weise in die Herzembryologie ein und andererseits ging es natürlich auch um die Frage, wie Bildung heute zeitgemäß sein müßte, um echte Fähigkeiten der Wahrnehmung des anderen, des Fremden zu ermöglichen und dieses mutig in den dazugehörigen Zusammenhang einzufügen.

Genau dies kann man, beginnend bei der Physiologie des Herzens, den seelischen Qualitäten des Blutes und dem geistigen Hintergrund der Gewissenbildung studieren. Findet nicht im Herzen ein unentwegtes Abwägen des Verhältnisses meiner Taten zum Weltzusammenhang statt, wie es die Ägypter schon in ihren Darstellungen des Totengerichtes angedeutet haben?

Schon der Sonntagabend leitete viele Fragen im Hinblick auf Zukunftsvertrauen ein. Einige Studenten der Dorfuniversität Dürnau stellten ihre Projekte vor, an denen sie zur Zeit arbeiten und warfen dabei Fragen nach staatlicher Anerkennung und beruflicher Sicherheit auf, die kontrovers ins Gespräch führten.

Götz Werner eröffnete die Tagung im Interview mit Camilla Paris (Dorfuni ) und Hanjo Achatzi (Wirtschaft neu Denken). Er ermutigte die Zuhörer mit unternehmerischer Gesinnung ihren Lebensweg anzugehen: „Das Genie erfindet sich im Überschreiten von Übergängen. Der ruhige Blick auf den zurückgelegten Weg vollendet dann den Künstler.“ Mit diesem Fichtezitat umriß er die Lebensprinzipien, an denen man sich vor wichtigen Entscheidungen orientieren könne.

Der letzte Vormittag verwandelte das Rudolf Steiner Haus in einen Markt der Möglichkeiten. In allen Räumen des Hauses sah man die jungen Menschen sehr angeregt im Austausch mit Vertretern zukunftsorientierter Initiativen, wie der Mellifera e.V. für wesensgemäße Bienenhaltung oder dem Omnibus für direkte Demokratie, dem freien UNIEXPERIMENT, der Cusanushochschule, um nur einige wenige zu nennen. Sie alle machen Hoffnung und brauchen engagierte Menschen, um ihre fruchtbaren Ansätze noch stärker wirksam werden zu lassen.

Wie nebenbei wurde auch das Rudolf Steiner Haus selbst Ort einer sich von Tag zu Tag steigernden künstlerischen Aktion. Auf humorvolle und unübersehbare Weise verschwanden allmählich einige Stuhlreihen des festen Mobiliars im großen Saal und verwandelten sich in sehr ästhetische Kunstwerke. Diese Aktion bildet den Auftakt, das Haus allmählich zu renovieren und in einen lichten, freundlichen Begegnungsort zu transformieren. Die Verantwortlichen des Hauses haben sich zum Ziel gesetzt, das Leben und die Bedürfnisse der umliegenden Institutionen besser wahrzunehmen und auch frischen Wind aus der Öffentlichkeit mit den würdigen Weisheiten, die sich in den letzten Jahrzehnten hier gebildet haben, in einen regen Austausch zu bringen.

Insofern war die Betrachtung des Herzorgans natürlich sehr hilfreich, denn das Herz hat eben die Fähigkeit, auf die Bedürfnisse und Anforderungen der Organe in entsprechender Weise zu reagieren. „Altes“ venöses Blut begegnet sich in ihm mit erfrischtem arteriellem, das sich neue Kraft aus dem Umkreis geholt hat. So wie das Herz sich aus unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten bildet und dann zum Wahrnehmungsorgan der verschiedenen Strömungen wird, wollen wir einen steten Menschenfluß ermöglichen. Angefangen bei der festen Bestuhlung, die schon bald viel beweglicher und flexibler wird, über die unterschiedlichsten Begegnungsformen, die wir schon seit einiger Zeit erproben, bis hin zum ernsthaften, aber undogmatischen Umgang mit der Anthroposophie, mögen wir uns von diesem Urbild leiten lassen.

Die bildungsART 15 hat in dem schon seit einer Weile begonnenen Weg wieder einen kräftigen Pulsschlag eingefügt! Weitere sollen folgen.