Am 26.6. wird mit einer großen Feier der neue von Tessin Lehrstuhl für Medienpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart eröffnet. campus A sprach mit dem Inhaber Prof. Dr. Edwin Hübner über die pädagogische und spirituelle Dimension der Medien und die Ziele seiner Arbeit am neuen Lehrstuhl. Heraus kam ein interessantes Gespräch über ein mögliches zukünftiges Selbstverständnis der Waldorfpädagogik.
campusA: Lieber Herr Hübner, ein Highlight an der Freien Hochschule ist in diesem Jahr die Einweihung des von Tessin Lehrstuhls für Medienpädagogik. Wie kam es zu dieser Gründung?
Hübner: Dem geht eine lange persönliche Zeit der Auseinandersetzung mit dem Thema Medien voraus, die ihren Anfang in den 90er Jahren mit der Entstehung des Internets und den ersten Lernsoftwareprogrammen hatte. Als Mathematik- und Physiklehrer interessierte mich das Thema sehr und als ich die einschlägigen Zeitungsartikel las, die eine Revolution des Lernens und eine Lösung aller Probleme in der Schule propagierten, merkte ich, dass da eine riesige Herausforderung auf die Schulen zukommt – und kaum einer bemerkt es.
Mit einigen Kollegen wie Rainer Patzlaff und Uwe Buermann haben wir dann 2001 das IPSUM Institut für Pädagogik, Sinnes- und Medienökologie gegründet. Dort arbeitete ich neben der Schule viele Jahre mit. Mein Anliegen dabei war und ist es auch noch, die Arbeit an einem grundlegenden waldorfpädagogischen Konzept zur Medienpädagogik voranzubringen.
Seit einigen Jahren wird das Thema „Medienpädagogik in den Waldorfschulen“ in der Schulbewegung intensiv diskutiert und zum Teil auch realisiert. Das führte das Kollegium der Freien Hochschule dazu 2015 eine Professur für Medienpädagogik einzurichten.
Durch die Unterstützung der Dr. Ingeborg von Tessin und Marion von Tessin Stiftung ist es jetzt möglich, diese Arbeit deutlich auszubauen und neben der intensiveren Forschung auch das medienpädagogische Lehrangebot an der Hochschule zu vergrößern.
campusA: Was können die Studenten denn diesbezüglich in der Zukunft erwarten?
Hübner: In der grundständigen Ausbildung zur Klassenlehrerin oder zum Klassenlehrer kann man bisher beispielsweise Musik, Englisch oder Sport als Nebenfach studieren. Wir werden ab September 2018 für diese Studierenden als weiteres Fach „Medienpädagogik“ anbieten. Sie können dann als Klassenlehrer und als ausgebildete Medienpädagogen ins Berufsleben starten. In der nächsten Zeit werden an den Schulen sicher weitere Stellen für Medienpädagogen entstehen und wir möchten mit diesem Studienangebot versuchen, diesem kommenden Bedarf gerecht zu werden. Die Schüler brauchen eine vernünftige Einführung in den Umgang mit den verschiedenen Medien und müssen lernen, wie man sie sinnvoll und kreativ als Werkzeug benutzt. Das heißt natürlich nicht, dass die Erstklässler mit dem Tablett umgehen, aber ein Neuntklässler muss heute wissen, wie ein Computer funktioniert, wie man ihn sinnvoll nutzt. Er muss auch einen Film gedreht haben, ein Radio Feature produziert haben, um Medieninhalte beurteilen zu können. Selbstverständlich ist auch,dass sie ein Textbearbeitungsprogramm beherrschen und im Internet sinnvoll recherchieren können.
Darüber hinaus bieten wir auch Fortbildungen für bereits im Berufsleben stehende Lehrer an, die sich mit Medienpädagogik befassen möchten.
campusA: Und welche Ziele hat der Lehrstuhl im Bereich der Forschung?
Hübner: Wir werden mit den Mitarbeitern des Lehrstuhls in Schulen verschiedene konkrete medienpädagogische Unterrichtsprojekte durchführen und auswerten. Auch den Erfahrungsschatz den es bereits an vielen Schulen gibt wollen wir aufschreiben und sowohl in Buchform als auch im Internet zur Verfügung stellen.
campus a: Wie würden Sie persönlich die gegenwärtige Wichtigkeit und Dringlichkeit beschreiben, den Bereich der Medienpädagogik voranzutreiben?
Hübner: Wir haben jetzt Maschinen, die „gehen“, Maschinen, die „sprechen“ und Maschinen, die für Menschen „denken“ können. Es werden Roboter gebaut, mit denen Menschen kommunizieren und leben sollen. Das wird die Auffassung, dass der Mensch auch nur eine Maschine sei, verstärken. Die bereits vielen Science-Fiction-Filmen zugrunde liegende transhumanistische Auffassung, dass Maschinen eine Fortsetzung der Evolution seien, wird durch das Leben mit Robotern scheinbare Realität. Es werden gegenwärtig Versuche gemacht, wie man Kindergartenkindern durch Roboter eine Fremdsprache beibringen kann. Wenn man das macht, erklärt man dem Kind neben der Fremdsprache unterschwellig, dass es auch nur eine Maschine sei.
Da hat die Waldorfschulbewegung eine große Aufgabe: Sie muss zeigen, dass der Mensch etwas ganz anderes ist als eine Maschine. Das spirituelle Menschenbild, aus dem Waldorfpädagogik heraus arbeitet, muss in den nächsten Jahrzehnten deutlich als eine Alternative zu materialistisch-transhumanen Ideen gelebt werden.
campus A: Sie verbinden mit dem Lehrstuhl also vor allem die Hoffnung, dass Lehrer ausgebildet werden, die Medienpädagogik mit einem tieferen Verständnis des Menschen unterrichten?
Hübner: Das ist das eine. Das andere ist, dass die Schulen verstehen, dass alle Schülerinnen und Schüler in einem technisch-medialen Zeitalter aufwachsen und vor diesem Hintergrund der ganze Unterricht auf die Prüfwaage gestellt wird. Welche Methodik brauche ich zum Beispiel beim Schreiben lernen in einem Zeitalter, in dem die Handschrift ausstirbt, in der Kinder auch immer schwächer in ihrer Feinmotorik sind? Heute bedeutet das Schreiben lernen viel mehr als früher. Es kommt gar nicht so sehr darauf an, dass man äußerlich viel beim Unterrichten zu ändern, aber wir müssen wach sein und viel stärker auf die Probleme der Kinder eingehen, gerade weil viele mit Tabletts groß geworden sind.
campus A: Das heißt Medienpädagogik ist für Sie viel mehr als nur der Umgang mit Bildschirm und Software?
Hübner: Für mich ist es viel mehr. Es ist zwar Medienpädagogik, aber das kann man gar nicht denken, ohne die ganze spirituelle Dimension des Menschen mit einzubeziehen. Das ist heute die Lage der Waldorfschulen: Sie müssen einerseits ein fundiertes und gutes medienpädagogisches Konzept entwickeln. Das muss aber in gleichem Maße davon begleitet sein, dass die Kollegien der Schulen den spirituellen Kern der Waldorfpädagogik sehr ernst nehmen. Da hängen Medien und Spiritualität sehr eng zusammen, weil der Mensch sich nur dann gegen den Zugriff der intelligenten Maschinen behaupten kann, wenn er zugleich auch sein eigenes seelisch-geistiges Sein erfährt.
campus A: Wenn man bedenkt, dass Sie ja schon einige Jahrzehnte im Bereich der Medienpädagogik versuchen Dinge voranzubringen, was ist Ihnen vor diesem Hintergrund am wichtigsten im Bezug auf dieses Thema?
Hübner: Der israelische Historiker Yuval Harari zum Beispiel sagt, der Mensch sei nicht frei, er sei von Algorithmen bestimmt. Algorithmen können verbessert werden. Es kann daher bessere geben als die menschlichen. Dann müsse man diesen besseren Algorithmen die Entscheidung über das menschliche Leben überlassen. Ein solcher Gedanke wischt die alte humanistische Sicht auf den Menschen einfach weg. Damit wird unserer Demokratie intellektuell der Boden abgegraben und einer Diktatur der Algorithmen das Wort geredet. An dieser Stelle hat die anthroposophische Sicht auf den Menschen eine bedeutende Aufgabe: Sie macht Demokratie denknotwendig, weil sie Wege aufzeigt, den freien Menschen zu erkennen und auszubilden. Das Leben in einer hochtechnisierten medialen Welt führt in der Konsequenz dazu, Spiritualität entwickeln zu müssen. Es ist notwendig aus eigenem Erleben heraus, eine spirituelle Erkenntnis des Menschen zu finden, die ihm die Gewissheit seiner Begabung zur Freiheit und zur Verantwortung gibt. Das ist unser Job in diesem Jahrhundert.
campus A: Definitiv!
Lieber Herr Hübner. Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Sie, die Arbeit und die Entwicklung des neuen Lehrstuhls.
Hübner: Auch Ihnen vielen Dank für das Gespräch.