Es hatten sich neun Eurythmisten aus verschiedensten Ländern (Japan Frankreich, Armenien, Belgien, Holland, Iran und Deutschland) für das Märchenprojekt zusammengefunden. Anfang September einigte sich das frischgebackene Märchenensemble, mit Hilfe des Projektleiters Michael Leber, auf „Das singende springende Löweneckerchen“ ein Märchen von den Brüdern Grimm. Wir hatten das Privileg mit diesem Märchen und einem klassisch, eurythhmischen Abendprogramm in verschiedenen Ländern Aufzuführen (Italien, Schweiz, China, Korea, Georgien, Armenien, Deutschland). Zu Beginn des Märchenjahres, lagen viele kreative Arbeitsstunden vor uns. Die Rollenverteilungen, das Einstudieren der Choreographien, für jede Szene passende Gebärden suchen und jeder stand vor der Aufgabe, seinen Charakter für die Rolle zu finden – das war herausfordernd.
Wir hatten das Glück in der ersten Juniwoche nach Georgien und Armenien reisen zu dürfen. Ermöglicht wurde dies durch die effektive Zusammenarbeit von Besso Namchevadse, unserem georgischen Pianisten, und Siranush Kasparova, unsere armenische Mitwirkende im Märchenensemble. Finanzieren konnten wir unser Märchenprojekt vor allem Dank unseren großzügigen Spendern. Es war uns eine besondere Freude, als erste Märchengruppe des Eurythmeums, „Das singende springende Löweneckerchen“ und unser Abendprogramm mit Menschen in diesen Ländern teilen zu können!
Gerade nach Georgien geflogen und Nachts am Flughafen von Kutaissi angekommen, startete in der Nähe ein Feuerwerk, wie zu unserer Begrüßung und zur Einstimmung auf die folgende Woche. Sogleich kamen wir in den Genuss georgischer Gastfreundschaft, mit saftigem Schokoladenkuchen. Wir übernachteten verteilt bei Bessos Familie und Freunden. Die Häuserblöcke mit ihren Fahrstühlen, die man möglichst nicht benutzen sollte, brachten uns gleich das Flair der Sowjetzeit näher.
Bei Kutaissi bekamen wir eine Führung durch die Prometheushöhle, aus der wir mit einem Boot hinaus fuhren und dabei ein georgisches Lied sangen, das wir schon während der vorigen Tourneen geübt hatten.
Früh am folgenden Tag erlebten wir eine vierstündige Busfahrt durch wunderschöne Landschaften und kleine Dörfer, mit einem kurzen Halt bei einer uralten steinernen Kreuzkuppelkapelle auf einer Erhöhung. Dort, tatsächlich recht nahe der Stelle, wo in unserem Märchen die meiste Dramatik stattfindet, fühlten wir die vier Winde sehr stark, die der jüngsten Tochter helfen, ihren Königssohn wieder zu bekommen.
Angekommen in Tiflis, bügelten wir bald alle Kleider und Kostüme und bauten die „Bühne“ in der Waldorfschule auf. Hier, wie in Armenien, begegneten uns bewundernswerte Menschen, die sich mit voller Hingabe dafür einsetzen, dass die zwei Schulen trotz vieler Widerstände einen so guten Ruf besitzen.
Stolze, willensstarke Gesichter der Schüler schauten genau zu, als wir aufführten. Die Kinder und Jugendlichen saßen dicht vor uns in einem Raum ohne Empore und ohne Fußrampen, ja ganz ohne besondere Bühnenbeleuchtung, welche uns bisher oft etwas, durch einen unscharfen Blick auf das Publikum, von diesem distanziert hatte. Es herrschte ein reges Kommen und Gehen bei einigen Schülern. Vielleicht konnten wir gerade durch diese Herausforderungen gemeinschaftlich und ätherisch umso stärker auftreten, sodass wir frohe, warme und dankbare Rückmeldungen bekamen. Gefühlvoll musikalisch begleitete uns die Pianistin Ana Nanuashvili, Bessos Frau, die uns abends durch die Altstadt von Tiflis führte.
Wie zuvor ins Chinesische und Koreanische, ließen wir auch hier kleine Abschnitte des Märchens sinngemäß ins Georgische und dann ins Armenische übersetzen, um dann diesen jeweiligen Teil des Märchens zu Armgard von Gagerns künstlerischer und sehr geschätzter Sprache auf deutsch zu eurythmisieren. So wurde das ganze Märchen in kurze Passagen eingeteilt. Zur georgischen und armenischen Übersetzung improvisierten wir inhaltlich passende, eurythmische Bewegungen.
Weiter ging es zur armenischen Hauptstadt. Wir fuhren etwas acht Stunden lang. Es ging durch grüne hügelige Landschaften und Berge, die teilweise, von schwarzem, gläsernen Vulkangestein überzogen, in der Sonne glänzten. Wir sahen verfallende Bauten, die zusammen mit der umliegenden Natur immer erstaunlich ästhetisch wirkten. Beim Halt an der Grenze, wo alles Gepäck zur Kontrolle ausgeladen wurde, hatten einige von uns, zwischen all den verschiedenen freundlichen und neugierigen Menschen, das Gefühl ein Abenteuer zu erleben, ohne, dass etwas Außerordentliches passierte. In Armenien sahen wir den großen Sewansee und dann kündigte der Berg Ararat, der schon für Noah eine wichtige Rolle gespielt hatte, die heutige 1,5-Millionenstadt Eriwan, an.
Von hier aus startete unser Ausflug am freien Tag. Mit einem japanischen Auto, also mit dem Fahrer auf der rechten Seite, fuhren wir teilweise halsbrecherisch zum heidnischen Tempel Garni, nach römischem Vorbild in eine Umgebung gebaut, in der prachtvollen Basaltsäulen zu entdecken sind. Anschließend sahen wir die christliche Kirche Geghard, die von oben in einen Fels hineingemeißelt worden war. Sie zeigt ihren Bezug zu dem Einweihungswissen irischer Mönche. Der ehemalige Klassenlehrer von Siranush berichtete uns einiges spannendes darüber.
In Eriwan führten wir in einem gemieteten Theater in der Nähe der Waldorfschule auf. Neben anderen Schülern und Besuchern kamen alle Klassen die Siranush in den vergangenen Jahren unterrichtet hatte. Auch Menschen, für die die Eurythmie ganz neu war, zeigten sich sehr angetan.
Diese Tournee war eindeutig ein Höhepunkt in unserem Märchenjahr und wir wünschen den nächsten Gruppen auch solche Erfahrungen!
Im Namen des Märchenensembles, Mailin & Solveig