Ein Impuls von Rahel Ehrmann

Als junger Mensch hat man in den heutigen Tagen große Aufgaben. Man muss ja irgendwie die Welt retten und dabei noch auf sich aufpassen. Zwei Dinge, eigentlich nicht viel – gäbe es da nicht diese ganzen Unterthemen, die diese beinhalten. Denn wie rette ich die Welt? Rette ich sie allein? Versuche ich den Brand an allen Stellen gleichzeitig zu löschen? Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um? Soll ich jetzt nur noch biologisch zertifizierte Produkte kaufen und Nein sagen, wenn ein alter Schulfreund mit mir kurz einen Döner essen gehen möchte? Da ist doch so viel ungesundes Zeug drin und ist außerdem nicht Bio und AUSSERDEM kommt das Fleisch aus ganz kümmerlichen Verhältnissen.
Ich als Mensch bin verantwortlich, dass ich in der Welt, in der ich lebe, Gutes beziehungsweise Ausgleichendes tue, wenn ich eine Ungerechtigkeit erlebe oder sie zumindest genauso zurückzulassen, wie ich sie vorgefunden habe. Man könnte ja meinen, dass es einem selbst nichts bringt, etwas für andere zu tun, gerade in Bezug auf das Ego. Aber eine liebevolle, annehmende Haltung allem Lebendigen gegenüber, das mir begegnet, sei es eine Pflanze, ein Tier oder ein Mensch, tut auch mir selbst gut. Manchmal hilft es sogar dabei, sich selbst liebevoll zu begegnen. Doch um wirklich etwas zu erreichen, muss ich handeln und kann nicht in meinen Träumereien von einer besseren Welt bleiben und einfach nichts tun. Zwar habe ich die Freiheit, mich gegen das hilfsbereite Tun zu entscheiden, weiß aber innerlich trotzdem, dass ich dann weder die Welt noch mich weitergebracht habe. Denn meckern kann man immer, aber den Schritt zu wagen, für eine Verbesserung zu kämpfen, fällt vielen, auch mir, schwer.
Doch um dies zu tun, braucht man auch Kraft, die man nur dauerhaft behält, wenn man gut mit sich umgeht. Tja, wie gut sorge ich für mich, meine Bedürfnisse und Grenzen (auch in einem Alltag, in dem ich Leistung erbringen muss)? Eine Antwort darauf zu finden bzw. hier Eigenverantwortung zu entwickeln, ist gar nicht so leicht. Manchmal fällt es sogar leichter, Verantwortung für andere zu übernehmen als für sich selbst. Und wenn man sich einmal dazu entschlossen hat, verantwortungsvoll mit sich umzugehen, ist es ein ständiges Ausprobieren und Ringen, das auch frustrierend sein kann. Man muss es allerdings immer wieder neu versuchen, egal was kommt, denn das ist für mich der einzige Weg, um dauerhaft in dieser Welt zu bestehen. In einem zwischenmenschlichen Konflikt ist mein Anspruch, die Verantwortung für meine Gefühle und Bedürfnisse zu übernehmen und gleichzeitig Grenzen zu setzen, sollte mein Gegenüber mich schlecht behandeln. Schwierig wird es vor allem, wenn ich an mir beobachte, unrealistische Erwartungen an andere oder an mich zu haben. Das merke ich oft erst im Nachhinein, und dann ist es zu spät und ich bin enttäuscht. Obwohl solche Fehler den erfreulichen Nebeneffekt haben, dass man sehr viel aus ihnen lernt.
Es gilt, wie bei allem, die Mitte zwischen Illusion und Schwermut zu finden, Anpassung und Abgrenzung, Pflichtbewusstsein und Gemütlichkeit, Annehmen und Ablehnen. Dafür gibt es keinen perfekten Plan. Ich denke, diese muss jeder Mensch von Situation zu Situation selbst (eigenverantwortlich) erringen. Meditation und eine besonnene Innenschau ist nur ein Weg, um in diese Mitte zu kommen, von der so viel Ruhe und Kraft ausgeht.
Es gibt viele Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten – so viele, dass die Möglichkeiten am Ende oft eher uns gestalten als andersherum. Wie sagte Rudolf Steiner einst? »Man muß sich der Idee erlebend gegenüberstellen können; sonst gerät man unter ihre Knechtschaft.«¹ Ideologien zu folgen, die man selbst vorher nicht geprüft hat, ist ein riskanter Weg, erscheint er einem auch noch so richtig. Und es ist ein schma­ler Grat zwischen verhärteter Ideologie und einem Ideal, das wie ein Stern ist, dem man folgen kann, den man aber nie erreichen wird.
Auf vielen sozialen Plattformen werben Influencer entweder mit Selbstoptimierung (Fitness, Schönheits-OPs, Make-up) oder mit dem Gegenteil: Man solle sich doch immer lieben und mögen, egal wie man aussieht oder was für Charaktereigenschaften man hat. Natürlich möchte man hübsch aussehen und zu den Erfolgreichen gehören. Und natürlich möchte man auch einfach man selbst sein, mit allen Ecken und Kanten. Aber beides ist nicht immer möglich. Es gibt Tage, da scheitert man, mag sich nicht oder hat das Work-Out nicht gemacht. Doch das ist in Ordnung und hat auch seine Berechtigung.
Ich habe gelernt, dass man bei diesen Zielen nicht zu hart mit sich ins Gericht gehen sollte und sich Zeit lassen kann. Das Ergebnis, wenn man in seinem eigenen Tempo an seinen Zielen arbeitet, fällt am besten aus, auch weil man dadurch in der nötigen Tiefe empfindet und durch seinen entspannten Zustand auch die Geis­tesgegenwart besitzt, um sie zu erreichen.
Also ja, ich esse den Döner, das wird sowieso das einzige Mal dieses Jahr gewesen sein. Okay, das zweite Mal – bleiben wir ehrlich, sich in Geduld und Toleranz zu üben bringt anderen Menschen etwas und auch mir, da ich dadurch ruhiger und gelassener durch den Alltag gehen kann. Und nein, ich habe den Döner nicht gegessen. Diese Situation entstammt leider nur meiner Fantasie. Obwohl ich schon Lust dazu hätte …


Rahel Ehrmann: auf Rügen geboren, mit 13 Jahren in die Nähe von Stuttgart gezogen und auf die Waldorfschule in Faurndau gegangen. Bis zum letzten August besuchte ich das Freie Jugendseminar in Stuttgart und mache gerade ein Praktikum im Verlag der Kooperative Dürnau.


1 Rudolf Steiner: ›Die Philosophie der Freiheit‹ (GA 4), Dornach 1995, S. 271