
Ein Beitrag von Jannis M. Keuerleber.
Die Computertechnik hat eine Dynamik entwickelt, die unsere Welt in einer Weise verändert, wie es das zuvor wohl kaum gegeben hat. Die bildungsART, ein Labor für Zukunftsimpulse in der Bildung, hat in diesem Jahr untersucht, welche notwendigen Impulse diese Entwicklung für die pädagogische, künstlerische, spirituelle und therapeutische Praxis erkennen lässt.
Ausgegangen sind wir von dem Bewusstsein, dass einer so machtvollen und schnellen Bewegung vor allem ein Gegengewicht hinzugestellt werden muss. Statistisch verbringen Menschen bereits mehr Zeit in virtuellen Räumen, als in der Natur. Hier eine Balance, im Sinne einer erlebensreichen Sinnesvielfalt wieder herzustellen, scheint ein selbstverständliches Gebot der Stunde. Ebenso, eine lebendige Praxis tiefer Begegnung den Interaktionen unserer digitalen Avatare, den Manifestationen unserer elektronischen Doppelgänger bei facebook & Co entgegen zu setzen. Es ist auch kein Zufall, dass eine Technologie, die den Globus mit Lichtgeschwindigkeit vernetzt und virtuelle Räume erschafft, die ganz eigene „Naturgesetze“ kennen, ganz eindeutig Erfahrungsqualitäten auf Knopfdruck verfügbar machen, die wir sonst nur jenseits der Schwelle zur geistigen Welt kennen. Damit weist sie uns aber auch auf unser Verhältnis zu einer gelebten Spiritualität hin – denn wo sie fehlt, kann sich unser Streben nach Transzendenz andere Bahnen brechen.
Hier werden Utopien eines sich selbst optimierenden Menschen bis hin zur technisch realisierten Unsterblichkeit zu einer konkreten Roadmap für die Gesellschaftsentwicklung aus der Forschung und Digitalisierung heraus. Zur Kerndisziplin gehört überall entweder die Erschaffung oder die Einbeziehung künstlicher Intelligenz (KI). Eine Kraft, die den Menschen in seinen intellektuellen Fähigkeiten zunehmend übersteigen soll, und die selbst schließlich eingespannt wird, um die jeweils nächste Maschinen-Generation zu entwickeln. Eine sich selbst beschleunigende Entwicklung also. Dem stellt sich eine berechtigte Frage entgegen, was das für das Wesen des Menschen bedeutet. Und häufig, das war auch bei der Tagung zu spüren, kann diese Entwicklung ebenso begeistern, wie tiefe Beunruhigung auslösen.
Der Mensch erscheint hier wie eingespannt in polare Entwicklungsströmungen: Auf der einen Seite die Erweiterung unseres Wirkungsspektrums durch Technologien, die wir „bauen“ – und auf der anderen Seite ein Zukunfts-Strom der die eigeninitiative, aktive Fähigkeitsschulung erfordert. Das betrifft sowohl unser Wirken in der sinnenfälligen Welt, wie auch unser tiefverinnerlichtes Streben nach Transzendenz. So findet sich dieser Begriff, Transzendenz, gleichermaßen als Telos in spirituellen Strömungen wie der Anthroposophie, wie auch in den Techno-Utopien der Transhumanisten.
Es ist dabei sehr leicht in ein Deutungsschema zu verfallen, nach dem der eine Strom gut, der andere böse beurteilt wird.
Doch wohin wir auch blicken: Entwicklung findet in Spannungsfeldern statt. Es ist dieses Motiv, das Schiller dazu inspirierte, einen idealischen Menschen zu beschreiben, der zwischen den Polen von Stoff und Form, Leben und Bewusstsein, Rationalität und Triebleben spielt.
So steht auch die Menschheitsentwicklung ganz offensichtlich im Spannungsfeld von Zukunftsströmen, die das Menschenwesen einerseits in und unter die irdische Sphäre ziehen. Andererseits gibt es Schulungswege, die zu übersinnlichen Fähigkeiten und Erkenntnissen „höherer Welten“ führen. Als Mensch muss uns dabei die Frage bewegen, was es bedeutet, den Weg durch die Erdenentwicklung zu gehen. In uns verbinden sich beide Entwicklungsströme. Um ein rein geistiges Wesen zu bleiben, bedarf es nicht der Inkarnation in ein irdisches Leben. Das bedeutet doch Menschsein: den Erfahrungsbereich durchlichtend zu vertiefen und das Bewusstsein aus der Erdenschwere willenskräftig ins Geistige zu erhöhen. Und so an der Weltenentwicklung teilzuhaben.
Gerade an der Eurythmie konnte während der Tagung sichtbar werden, wie der Mensch, obwohl in die flirrendsten, dynamischen und ebenso harten und kontrastreichen Bewegungen hingegeben, in sich eine Aufrichte und Spannkraft hält, die ihm ermöglicht das Spiel der Bildekräfte in die Sichtbarkeit zu heben, ohne dabei mitgerissen zu werden oder zu stürzen.
Fotos: Regiane Corrêa Alves und Nataliia Shanta
Ein großes Anliegen für diese Tagung war es, aus den konkreten Phänomenen heraus zu arbeiten. Ein WahrnehmungsLab führte die Teilnehmer über drei Stunden in zahlreiche Dimensionen unserer Wahrnehmungswelt: intensive Sinnlichkeit, Annäherungen an übersinnliche Erfahrungen der Pflanzenwelt und die Begegnung mit computergenerierten Wirklichkeiten bildeten durch 12 speziell vorbereitete Räume ein kontrastreiches Spektrum. In der dichten Auswertung dieser Erlebnisse wurde sehr deutlich, wie vielschichtig unser wahrnehmbarer Lebensraum ist und wie wenig wir uns dessen gewahr sind – bzw. wie sehr wir unser Erfahrungsfeld noch vertiefen können.
In den zahlreichen Workshops konnte die verschiedensten Aspekte des Tagungsthemas vertieft und die Anregungen aus den Plenumsveranstaltungen verarbeitet werden.
Gerald Häfner eröffnete die Tagung mit einem passionierten Appell an unsere Lust und Verantwortung, diese Zukunftsentwicklung, die mit der Technik verbunden ist, mitzugestalten. Wie können die Medienstrukturen uns und der demokratischen Struktur unserer Gesellschaft gerecht und förderlich werden?
Julian Wildgruber und Jannis Keuerleber blickten darauf, wie Technologie unsere Lebenswelt verändert, hauptsächlich durch die Impulse einiger weniger «Global Player» angetrieben. Aber auch die herzensinspirierte, imaginative Zukunftskraft des Menschen konnten wir beim Lauschen auf Michael Endes «Momo» empfinden.
Dorian Schmidt erkundete die Frage: Können wir die Wahrnehmung schulen, wie beispielsweise die Nutzung eines Computers sich auf unsere Lebens- und Aufmerksamkeitskräfte auswirkt? Diese Fähigkeit wird immer wichtiger für ein rechtes Verständnis der Kräfte, mit denen wir uns tagtäglich verbinden. Noch wichtiger aber ist es doch, die Herausforderung dieser Entwicklung voll zu ergreifen und mich zu fragen: Wie mache ich meinen Willen frei und pflege eine Praxis der Freiheit, in einer Welt, die mir für jede Eigenaktivität einen technischen Ersatz bietet?
Unsere Zeit, in diesem Sinne, mit all ihren Phänomenen ernst zu nehmen, dazu lud uns auch Johannes Greiner ein. Denn so herausfordernd sie ist, so leben doch so viele Menschen, wie nie zuvor auf diesem Planeten und bekräftigen ihren Lebensauftrag mit dem lauten «Ja» ihrer Geburt. Hohe Selbstmordraten gerade in hochtechnisierten Gesellschaften, die Flucht in virtuelle Welten und andere Erscheinungen scheinen einen gegenteilige Sprache zu sprechen, wecken uns aber vielleicht auch dazu auf, dass wir uns gegenseitig für unsere Entwicklung brauchen.
Edwin Hübner ließ uns mit voller Eindrücklichkeit nachzeichnen, wie ein Unternehmen wie Google jeden denkbaren Lebensbereich mit einem Zukunftsimpuls erobert, in dessen Kern eine technische Intelligenz die Evolution der Menschheit bestimmt. Durch Rudolf Steiners Beschreibungen dieser Vorgänge, kann diese Bewegung in einen weiteren Kontext gestellt werden. Denn diese Intelligenz, die sich heute ganz mit der maschinellen Materialität verbindet, wurde einst für die Menschheit kosmisch von Erzengel Michael geborgen, bis sie in die irdische Sphäre hinabgeführt, und damit sowohl den an diese Weltenebene gebundenen Geister, als auch dem Menschen verfügbar wurde. Es liegt nun in unserer Verantwortung, in welche Richtung wir diese geistige Schöpferkraft entwickeln, die in sich den Weg durch den hohen Kosmos und die Tiefen der Erdensphäre trägt. Wirkungsmächtige Technikutopien für eine hochentwickelte Künstliche Intelligenz der Transhumanisten finden dazu längst Eingang in unser Denken. Sei es durch konkrete Produkte oder die Bilderwelten der Filme, die eine erstaunlich Tendenz zur Selbstverwirklichung beweisen.
Doch haben wir gelernt, eigene Utopien zu imaginieren und gemeinsam zu finden? Geistige Zukunftsimpulse zu ergreifen? Ein zeitgemäßes Bildungsverständnis müsste diese Fähigkeiten eigentlich in seinen «Kanon» aufnehmen, regte Dan-Felix Müller an.
Armin Husemann führte uns mit seinem Vortrag unmittelbar in ein lebendiges Denken, das dieser Herausforderung gerecht werden kann. Der Leib des Menschen erscheint fest und gegeben, doch jedes Organ, ja, die gesamte Organisation, hat sich aus lebendiger Bewegung heraus entwickelt – evolutionsbiologisch betrachtet ebenso, wie in der individuellen Biographie. Das bedeutet, den Mensch als werdendes Wesen zu erkennen, das sich beobachtbar in einem polaren Kräftespiel entwickelt. Zwischen Bewusstseinskräften, die mit geschlossenen Bildeformen wie der Schädeldecke einhergehen und Lebenskräften, wie wir sie in der Wärmeynamik und Öffnung unseres Skeletts bspw. im Unterleib wiederfinden.
Diese Gesetzmäßigkeit des menschlichen Werdens, eine Aufrichte in einem polaren Kräftespiel zu halten, sollten wir auch auf unser Verhältnis zur Technik ergreifen. So wie sich Lebens- und Bewusstseinsqualitäten in unserer Mitte, im Herzen, begegnen, plädiere ich dafür, diesen Schritt der Weltentwicklung zu einer Herzensangelegenheit zu machen. Das aber, ist eine Praxis, die in Pädagogik, Kunst, Therapie und Kultus gepflegt und weiter erforscht werden muss. Dass der Kunst dabei eine wesentliche Rolle zukommt, wurde nicht nur durch die künstlerisch-forschenden Methodik Armin Husemanns deutlich, sondern ebenso in einem Feuerwerk lebendiger und intuitiver menschlicher Kreativität und feinstem Humor, das ein prall gefüllter Steinersaal am Donnerstag Abend erleben durfte. Ein Atmen mit allen Sinnen, das ebenso heilsam, wie erkenntnisreich war.