Eindrücke von Ingolf Lindel,

Eurythmie-Student und Mitglied im bildungsART-Kernteam.

Vom 24.2. bis zum 1.3. 2019 stand die alljährliche öffentliche Tagungswoche des campusA Stuttgart, die bildungsART 19, auf dem Stundenplan der Studierenden und Auszubildenden. Aber auch externe Interessierte und Schüler aus dem deutschsprachigen Raum waren dem Ruf „umBildung der Zukunft“ gefolgt und so fanden sich rund 250 Menschen im Rudolf-Steiner-Haus ein, um sich eine Woche mit Bildungsfragen zu beschäftigen.

Von Anfang an war die Tagung darauf angelegt, einem möglichst großen Bildungsbegriff Raum zu geben und sich nicht nur auf Schule, Ausbildung und Hochschule zu beschränken, sondern die Bildung darüber hinaus als Lebensweg und als Selbstentwicklungsprozess aufzufassen. Zu diesem Zweck waren Plenumsveranstaltungen wie Vorträge und Podien mit Workshops und künstlerischen Aufführungen in einer Art komponiert, dass es den Teilnehmenden möglich war, sowohl in der großen Gruppe, als auch in einem intimeren Rahmen Bildungsphänomenen auf die Spur zu kommen.

Es begann am Sonntagabend mit einem Auftaktvortrag in dem Nana Göbel von „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ die Entwicklung der Waldorfpädagogik, von Stuttgart ausgehend, global skizzierte und nach hundert Jahren einen Blick in die Zukunft wagte. In diesem Zukunftsblick betonte Sie vor allem die Wichtigkeit der Zusammenarbeit verschiedener Menschen, die an ein und derselben Sache arbeiten, nämlich daran, eine gute Pädagogik für Kinder zu machen.

Um den campusA auf der Tagung sichtbar und erlebbar werden zu lassen waren alle Einrichtung im Vorfeld gebeten worden, einen Tagungsbeitrag zu der Frage zu gestalten, wie man in der jeweiligen Fachrichtung mit dem Thema Bildung umgeht. Nach einer offiziellen Eröffnung am Montagmorgen folgte dann der Beitrag des Waldorferzieherseminars und des Eurythmeums. Hier wurden einerseits Kindheitsräume eingerichtet, in denen erlebt werden konnte, innerhalb welcher Zusammenhänge Kinder unmittelbar gebildet werden. Andrerseits gab es einen eurythmischen Erlebnisparcours, auf dem die Teilnehmenden durch verschiedene Räume geleitet wurden, um dort sowohl aktiv als auch passiv erfahren zu können, mit welchen Elementen die Kunst, speziell die Eurythmie, bildet.

Die Nachmittage standen jeden Tag im Zeichen der Workshops, die beispielsweise vom plastizieren (bilden) der Embryonalentwicklung über Notfallpädagogik bis hin zur Textarbeit bezüglich Bildung reichten. Hier konnten die Teilnehmenden in ganz konkrete Bildungserlebnisse eintauchen und ihren inneren Erfahrungsschatz erweitern.

Mit einem Vortrag im Hospitalhof Stuttgart wurde die bildungsART 19 dann auch dieses Jahr wieder einem breiteren Publikum präsentiert. Inhaltlich geschah dies durch einen Vortrag von Prof. Dr. Edwin Hübner, Inhaber des von Tessin Lehrstuhls für Medienpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart und damit ein Vertreter des campusA. Er sprach über das gesunde Aufwachsen der Kinder im Zeitalter der digitalen Geräte und betitelte seinen Beitrag mit einem Hinweis auf die tiefere Dimension hinter der Digitalisierung: „Der Mensch vor der digitalen Sphinx“. Dieser Vortrag wurde vom SWR-Fernsehen für die Reihe „Teleakademie“ gefilmt, wodurch die bildungsART 19 und die Anliegen, welche wir aus dem campusA heraus im Bezug auf Bildung vertreten einem sehr großen Publikum zugänglich gemacht werden.

Am Dienstagmorgen gab Elke Rüpke vom Waldorferzieherseminar dann einen Überblick der Geschichte von Bildung innerhalb Europas, angefangen von der griechischen Antike bis in die Gegenwart. In ihrem Beitrag wurde deutlich, wie sich der Zugang zu Bildung im Laufe der Geschichte von einem Privileg für Eliten hin zu einem Allgemeingut der verschiedenen Gesellschaften entwickelt hat und welche Art von Bewusstseinsentwicklung sich darin zeigt.

Der weitere Vormittag gehörte dann der Freien Hochschule Stuttgart, die in verschiedenen künstlerischen Performances und kurzen Erzählungen auf der Bühne des Großen Saales mit dem Thema Bildung in Form von umgingen. Ebenso stellten Stefan Wurster und Helmut Wolman sowohl die Bildungsbereiche der „Freunde der Erziehungskunst“ vor also auch eine Methode zur sogenannten „Willenserweckung“, ein Instrument zur Selbstbildung, die das Publikum im Saal sofort zu einem intensiven Austausch über den Morgenvortrag brachte.

Am Dienstagabend konnten wir dann das diesjährige Highlight der bildungsART 19 erleben, als uns der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, mit seinem Besuch und der Teilnahme an einem Podiumsgespräch zu Bildungsfragen beehrte.

Vor einem restlos gefüllten Saal zeigte er sich im Gespräch sehr menschlich und zugänglich, sprach über persönliche Ereignisse genauso wie über philosophisch-kulturelle Zusammenhänge und die große gesellschaftliche Herausforderung der Digitalisierung.

In seinem Impulsvortrag hob Herr Kretschmann die Bedeutung der Waldorfschulen in der Bildungslandschaft hervor und forderte die Waldorfbewegung dazu auf mutig und aktiv die nächsten hundert Jahre zu gestalten: „Üben Sie Macht aus – im kreativen und gestalterischen Sinne.“

Zur Halbzeit der Tagung war die Gegenwart Thema und die Frage, wovon unsere gegenwärtigen Bildungsbemühungen gesamtgesellschaftlich getragen sind. Prof. Dr. Tomáš Zdražil und Ruprecht Fried von der Freien Hochschule skizzierten in einem Vortrag als Duo, wie Bildungsentscheidungen von der Industrie geprägt werden und die Frage nach dem pädagogisch Sinnvollen, sowie nach dem Menschen als solchem wenig Beachtung finden. Ruprecht Fried hob die Bedeutung der Selbstbildung als elementarem Instrument der Gegenwart hervor und zeigte den Schatz auf, welcher im Werk Rudolf Steiners liegt, um ein Verständnis vom Menschen zu erarbeiten, welches ihm als Gesamtwesen gerecht wird.

Anschließend präsentierten das Jugendseminar und das Pflegebildungszentrum, in kleinen Präsentationen und Übungen, was sie aus ihrem jeweiligen Blickwinkel zum Thema Bildung erarbeitet hatten.

Am vorletzten Tag der bildungsART 19 wurde es dann noch einmal besonders spannend, da ein „anthroposophieferner“ Redner zu Gast war, der die Tagung um einen wichtigen Bildungsbeitrag bereicherte: Thomas Sattelberger, ehemaliger Topmanager und Bundestagsabgeordneter der FDP, war der Einladung ins Rudolf-Steiner-Haus gefolgt und stellte in einem Vortrag seine Sichtweise auf die Bildung von Morgen dar. Zu Beginn betonte er, dass man zwar aus ganz verschiedenen Ecken kommen würde, am Ende im Bezug auf Bildung aber wohl etwas ganz Ähnliches wollen würde wie die Waldorfbewegung. Er betrachtete Bildung in seinen Ausführungen wie in einem Spiegel der Wirtschaft und stellte fest, dass die Strukturen innerhalb der Wirtschaft aus einer analogen Zeit stammen würden, in der man hierarchisch und unkreativ gedacht hat. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung plädierte er für eine Gestaltung der Wirtschaft, die auf Freiheit und Kreativität baut und damit einen Zugang zu einer Ressource ermöglicht, von der wir laut Thomas Sattelberger als digitalisierte Gesellschaft in Zukunft nur profitieren könnten, nämlich der Kreativität.

Im Sinne seiner Spiegelung von Wirtschaft und Bildung forderte er deshalb die Auflösung eines Bildungssystems, dass in seiner Grundstruktur aus der preußischen Militärzeit stamme und eine Überführung dieses Systems in die moderne nichthierarchische Struktur einer digitalisierten Gesellschaft. Wie genau ein solches Bildungssystem aussehen könnte, wurde nur angedeutet, wichtiger war aber die Diskussion, die sich im anschließenden Podium entfaltete. Dr. Rainer Patzlaff (IPSUM Institut), Dr. Walter Kugler (Brooks University, Oxford), Marianne Siebeck (Demokratische Stimme der Jugend), Petra Plützer (Moderation, Freie Hochschule) und eben Thomas Sattelberger wollten eigentlich über den Zusammenhang von Kreativität, Freiheit und Wirtschaft sprechen, dagegen entfaltete sich aber ein Gespräch zu Grundsatzfragen. Mit einer außenstehenden Perspektive erinnerte Thomas Sattelberger daran, dass Waldorfbewegung schon eine exklusive Welt darstelle und innerhalb der Gesellschaft ein Inseldasein führe, der etwas entfernte Kontinent aber etwas anderes sei. Diese Feststellung führte zu einem Austausch darüber, inwiefern Waldorf mitsamt dem anthroposophischen Hintergrund dialogfähig ist. Es ginge nicht mehr nur um Waldorfpädagogik, sondern um eine gute „Kindheitspädgogik“, stellte Rainer Patzlaff am Ende fest und schloss den Kreis zur gleichen Forderung Nana Göbels am Anfang der Tagung. Dass man dabei zukünftig auch zunehmend mit nichtanthroposophisch orientierten Menschen zusammenarbeiten muss, stand deutlich im Raum und die bildungsART 19 gab mit dem Besuch der beiden Politiker, aber auch mit der Aufzeichnung des SWR, einen eigenen Impuls.

Gerahmt von künstlerischen Darbietungen des Else-Klink Ensemble, der Theaterkompagnie Stuttgart oder auch  einer Kunstperformance, die aus der Zusammenarbeit der Freien Hochschule und der staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart hervorging, verlebten wir eine wunderbare Tagung, die neben vielen individuellen Bildungsmomenten vor allem eine Frage hat auftauchen lassen: Ist die Waldorfpädagogik und die anthroposophische Bewegung als ganze bereit und fähig zum Dialog und zur Begegnung mit dem „Kontinent“? Zu dieser wichtigen Begegnung will die bildungsART auch in den nächsten Jahren beitragen und eine Plattform für Austausch nach Innen sowie nach Außen sein.