
Ein Bericht von Anna-Maria Sachs.
Ich habe festgestellt, als ich das Thema Balance erkenntnismäßig für mich klären wollte und theoretisch schon viel gefunden und verstanden hatte, dass ich mich immer mehr von der praktischen Balance entfernt hatte. Ich war so begeistert und wollte unbedingt immer weiter, um es noch besser zu erfassen, war komplett fixiert und konnte gar nicht mehr loslassen. Ich war vor allem im Kopf und habe immer deutlicher die Auswirkungen erlebt. Bis ins Körperliche hinein spürte ich mehr und mehr die Anspannung. Ich atmete nicht richtig und schlief nicht erholsam. Um mich aufzuwecken, war allerdings eine Frage von außen nötig: Was ist denn mit DEINER Balance?
Da wurde mir bewusst, dass mir diese anscheinend nicht so wichtig war. Erst da begann ich mich zu fragen und mir bewusst zu machen, wie es mir eigentlich jetzt im Moment geht. Sofort habe ich gespürt: So geht es nicht weiter, ich muss mich um mich selbst kümmern. Ich erkannte, dass ich als Idealistin nur in dem gelebt hatte, was ich gerne wollte – ohne Rücksicht auf mich und meine Bedürfnisse. Ich hatte mich ganz abgeschnitten von mir selbst. Mich nicht wichtig genommen. Nicht in mich hineingespürt, was ich jetzt brauche. Was ist das eigentlich, was mich davon abhält? Bei mir sind das oft feste Vorstellungen, dass etwas, meist sogar eine ganze Liste von Dingen, sein muss. Da ordne ich mich gewohnheitsmäßig unter und gebe dem, was mir der Kopf sagt, die Priorität. Was passiert, wenn ich mich aber frage: Was ist jetzt wichtig? und: Was ist mir wichtig? Was brauche ich jetzt?
Da kommen plötzlich andere Aspekte ins Spiel! Bin ich bereit, mich auf den jetzigen Augenblick einzulassen? Bejahe ich das Leben, also Veränderung, und kann das Alte (z.B. Vorstellungen) loslassen und auf das Neue vertrauen? Öffne ich mich, jetzt in mich hineinzuspüren? Ich finde es sehr spannend, was sich dahinter verbirgt. Es geht hier um Selbstliebe und Geistesgegenwart. Selbstliebe heißt auch, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, sich darum zu kümmern, dass es einem gut geht. Denn: Kann ich im Außen etwas Gutes schaffen, wenn ich innerlich nicht in Balance bin? Und Geistesgegenwart heißt, ganz im Moment in mir da zu sein. Ganz präsent zu sein bedeutet eben auch, zu spüren, nicht nur zu denken. Ich sehe da die Ansatzpunkte für die Balance. Nur wenn ich ganz in mir bin, kann ich aus mir, aus meiner Mitte heraus, frei agieren, spielen und balancierend leben. Wenn ich meine Vorstellung, etwas müsse in bestimmter Weise laufen, loslasse, dann kommt etwas Starres in Bewegung. Balance ist Bewegung, ist Atem. Es ist kein Zustand – oder kann ein lebender Mensch etwa steif wie ein Stock stehen, ohne jede Regung?
Balance ist verbunden mit Unsicherheit. Sie kann – genauso wie ich selbst – immer kippen, umfallen, einseitig werden, was zu Krankheit und Leid führt. Aber nur so können wir uns entwickeln und zu freien Menschen werden! Würde ich Balance zu einem Dauerzustand der stabilen Ausgewogenheit machen und die Möglichkeit, krank zu werden, abschaffen können – könnte ich dann überhaupt noch Mensch sein und werden?
Anna-Maria Sachs studiert Eurythmie im 3. Jahr und ist Teil des Kernteams der ›bildungsART20‹